Pistentiger

Kitzbühels Wunderteam neu verfilmt

Patrick Leitner mit Opa Hias und Ernst Hinterseer mit Enkel Stefan © Skiing Penguin
Patrick Leitner mit Opa Hias und Ernst Hinterseer mit Enkel Stefan © Skiing Penguin

Sie waren sechs Freunde aus Kitzbühel und dominierten den Skisport der 1950er- und 1960er-Jahre. Nun dreht Servus TV eine Dokumentation über Toni Sailer, Ernst Hinterseer, Fritz Huber, Hias Leitner, Anderl Molterer und Christian Pravda. Für die historischen Szenen spielen zwei Enkel ihre Opas. 

Wir befinden uns in Kitzbühel Mitte der 1950er-Jahre. Es ist tiefster Winter, klirrend kalt und Windböen peitschen die Schneeflocken gegen die Gesichter von sechs Freunden. Es ist ein Tag, an dem es sich Otto Normalverbraucher hinter dem Ofen gemütlich macht. Aber hier auf dem Hahnenkamm trainieren keine 08/15-Burschen, hier arbeitet eine einmalige Truppe (unbewusst) an ihrem Heldenstatus. Mit Holzstangen wurde ein Slalom gesteckt und als der Trainer am Ende des Kurses seine Hand hebt, stößt sich der Älteste im Bunde als erstes ab. „Alles auf Anfang“, heißt es plötzlich aus dem Hintergrund und das Sextett formiert sich wieder neu. Die Szene muss wiederholt werden.

Wir befinden uns wirklich auf dem Hahnenkamm in Kitzbühel, allerdings im Jahre 2021. Servus TV produziert derzeit eine aufwändige Dokumentation über das legendäre (Ski-) Wunderteam. Die sechs Lokalmatadore und Freunde Ernst Hinterseer, Fritz Huber, Hias Leitner, Anderl Molterer, Christian Pravda und Toni Sailer dominierten den Skisport der 50er- und 60er-Jahre, holten u.a. bei Großereignissen 27 Medaillen und avancierten zu den Lieblingen einer krisengebeutelten Bevölkerung.

Wunderteam 2021: Patrick Leitner (Hias Leitner), Stefan Hinterseer (Ernst Hinterseer), Andreas Manzenreiter (Christian Prawda), Johannes Koidl (Anderl Molterer), Moritz Brandt (Toni Sailer), Christoph Steiner (Fritz Huber) © AdriaAlpe-Media
Wunderteam 2021: Patrick Leitner (Hias Leitner), Stefan Hinterseer (Ernst Hinterseer), Andreas Manzenreiter (Christian Pravda), Johannes Koidl (Anderl Molterer), Moritz Brandt (Toni Sailer), Christoph Steiner (Fritz Huber) © AdriaAlpe-Media

Aus der damaligen Zeit gibt es „recht viel historisches Videomaterial und Fotos. Was dabei aber zu kurz kommt, sind natürlich die persönlicheren Momente zwischen den Rennaufnahmen oder großen Empfängen“, sagt Regisseur Sascha Köllnreitner. Da behilft man sich mit sogenannten Reenactment-Szenen, in denen historische Momente möglichst korrekt nachgestellt werden. 

Für die Besetzung der sechs Rollen setzte die Produktionsfirma AdriaAlpe Media auf Männer zwischen 20 und 39, die Ski fahren können, und hatte bei den Bewerbern mehr als Glück: Es fanden sich mit Stefan Hinterseer und Patrick Leitner nicht nur zwei Enkel der Wunderteam-Mitglieder Ernst und Hias, sondern mit Moritz Brandt (als Toni Sailer), Andreas Manzenreiter (als Christian Pravda) und Johannes Koidl (als Anderl Molterer) noch drei weitere Pisten-Ästheten – allesamt gestählt durch ihre Erfahrungen als Rennläufer und/oder Skilehrer. Fritz Huber durfte der Autor dieser Zeilen verkörpern – Christoph Steiner, Hobby-Skiläufer.

Drei Tage dauerte der Dreh der Reenactment-Szenen und sie fanden unter gleichsam erschwerten wie idealen Bedingungen statt, denn es schneite durchgehend. So authentisch tief winterliches Wetter für eine Doku über sechs Skiläufer auch sein mag, Dreharbeiten werden dadurch nicht einfacher. Sowohl die Technik als auch alle Beteiligten kämpften mit Kälte, Nässe oder rutschigen Straßenbedingungen. So hatten es die sechs Darsteller beim Dreh im 65 Jahre alten VW-Bus T1 noch verhältnismäßig angenehm, auch wenn der Ur-Bully keine Heizung besitzt. Fahrer Hansi Müller musste sich stundenlang vorwärts und rückwärts durch enge Straßen zwischen Aurach und Jochberg kämpfen. Bei der Spurhaltung halfen – neben dem stets gelassenen Piloten – Schneeketten und weitestgehend verlässliche Scheibenwischer.

Eine Grenzerfahrung für die Laiendarsteller waren die Szenen auf der Piste. Dabei wären die eisigen Temperaturen kein Problem gewesen, hätte die Ski-Kleidung der 50er-Jahre etwas mehr gewärmt. Allerdings war das originale „Wunderteam” einstmals auch mehr in Bewegung als ihre Mimen 2021, denn Dreharbeiten zeichnen sich in erster Linie durch Warten und Herumstehen aus. Insbesondere die ledernen Skischuhe der damaligen Zeit geben nur etwas: Halt, aber keinen Schutz vor Kälte. Mit der Zeit waren 60 „gefrorene” Zehen aber kein großes Problem mehr, denn man spürte sie ohnehin kaum noch.

Magisch wurde der Dreh, als im Winterwonderland auf dem Hahnenkamm die echten Legenden am Set erschienen. Plötzlich standen sie da: Ernst Hinterseer (89) und Hias Leitner (85). Die beiden feierten erst im Vorjahr das Jubiläum ihrer Olympiamedaillen von Squaw Valley 1960. Hinterseer holte damals im Slalom Gold, Leitner Silber. Regisseur Sascha Köllnreitner nützte diese einmalige Gelegenheit zu einer ebensolchen Szene: Das Wunderteam von damals geht mit den geschulterten Holzski zum Training und trifft auf dem Weg dorthin mit Ernst Hinterseer und Hias Leitner quasi sich selbst. „Guat schau ma aus“, sagt Ernst, als er „sich selbst“ und seine jungen Freunde erblickt.

Der Hauptteil der Dokumentation spielt zwischen Anfang der 1950er-Jahre und den Olympischen Spielen 1956 in Cortina, bei der vor allem Toni Sailer mit drei Goldmedaillen zu Weltruhm gelangt ist. „Natürlich erzählen wir auch die Jugendzeit und die nachfolgenden Jahre. Aber das Hauptaugenmerk bewegt sich um die Zeit, wo diese Burschen aus Kitzbühel tatsächlich zum Wunderteam avancierten“, gibt Regisseur Sascha Köllnreitner einen Einblick. Für ihn ist es die zweite Kitzbühel-Doku seit 2019. Damals porträtierte er Skipionier Franz Reisch (Details hier).

Neben Ernst Hinterseer und Hias Leitner tritt natürlich auch das dritte noch lebende Wunderteam-Mitglied vor die Kamera: Anderl Molterer (89) wird dafür in seiner Heimat USA interviewt. „Wir hoffen, die Dokumentation im Rahmen des Filmfestival Kitzbühel Ende August präsentieren zu können“, sagt Co-Produzent Michael Reisch. Die TV-Ausstrahlung werde anlässlich des Hahnenkammrennens 2022 im Jänner folgen.