Snow-How

Schnelle Schnüffler – Bergretter auf vier Pfoten

Schnüffeln und graben - der Lawinenhund bei der Arbeit © Skiing Penguin
Schnüffeln und graben - der Lawinenhund bei der Arbeit © Skiing Penguin

Riechen ist für Hunde wie Fühlen für Menschen. Aus diesem Grund sind Hunde aus dem Rettungsdienst nicht mehr wegzudenken. Bei einer Lawinenübung der Hundestaffel Kufstein-Kitzbühel auf der Westendorfer Choralpe haben die Vierbeiner ihr Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt. 

Richtig dunkel ist es nicht, aber mehr als ein paar Silhouetten sind auch nicht zu erkennen. Rund zwei Meter unter der Oberfläche sitzen Rudi und ich in einem Schneeloch und warten. Wir sind Figuranten, spielen Opfer, und haben uns zu Übungszwecken im Schnee eingraben lassen, um den Ernstfall eines Lawinenabgangs zu simulieren. Mit genügend Beinfreiheit und der Thermomatte unter dem Allerwärtesten ist unser Schneeloch aber im Vergleich zu einer Lawine eine Luxusherberge.

Irgendwo an der Oberfläche sucht jemand nach uns. Dieser Jemand ist einer der acht vierbeinigen Bergretter, die sich an diesem Samstag im März zur Lawinenübung mit ihren Hundeführern auf der Choralpe getroffen haben. An diesem Tag zählen nur die über 220 Millionen Riechzellen der Hunde, Lawinensuchgeräte sind ausgeschaltet. Plötzlich hören wir dumpfe Geräusche. „Jetzt ist er da“, sagt Rudi, Hundeführer und erfahrener Figurant. Wie erfahren er ist, zeigt sich nur kurze Zeit später, als er die Sonde auffängt, mit der sein Bergretterkollege von außen genau in unser Schneeloch sticht. Ein gutes Zeichen, denn jetzt hat uns nicht nur der Lawinenhund gefunden, sondern auch sein Hundeführer die Feinsuche abgeschlossen. Zu viel kostbare Zeit und Kraft würde es kosten, auch nur einen Meter zu weit links oder rechts zu schaufeln. Wir warten weiter. Wäre es ein echter Notfall, würden sich die Sekunden wie Stunden anfühlen.

Der Lawinenhund und sein Hundeführer bilden ein unzertrennliches Team © Skiing Penguin

Draußen wird gegraben, langsam wird es etwas heller im Schneeloch. Und dann ist sie da, die Hundeschnauze, die unsere Witterung durch meterhohen Schnee aufgenommen hat und uns zu Hilfe eilte. Schwarze Pfoten graben sich ihren Weg zu uns und plötzlich sind wir zu dritt in unserem Loch. Mit wedelndem Schwanz schnappt unser Retter nach der Beißwurst, die Rudi schon bereitgehalten hat.

„Für den Hund ist das alles nur ein Spiel“, sagt Stefan Fuchs, Leiter der Lawinenhundestaffel Kufstein-Kitzbühel, nachdem ich wieder aus dem Loch gekrochen bin. Es war übrigens genau der Moment, in dem eine Hundeschnauze in „seinem“ Übungs-Schneeloch aufgetaucht ist, der ihn dazu bewegt hat, auch Lawinenhundeführer zu werden. Mittlerweile ist er seit 19 Jahren mit Leib und Seele dabei, derzeit mit Malu, einem grauen Schäfer, der zusammen mit den anderen Lawinenhunden hinter einer kleinen Kuppe wartet. „Vom Mischling, Schäferhund, Labrador, Flat, Border Collie ist eigentlich alles dabei“, sagt Fuchs. Eigentlich ist jedem Hund zuzutrauen, Lawinenhund zu werden, solange er nicht zu klein oder zu schwer ist. Einzig der Husky ist nicht geeignet: „Den interessiert das Laufen mehr als das Suchen“, erklärt Fuchs. Und auch Jagdhunde sind nicht für die Verschüttetensuche prädestiniert, weil ihre Triebe anders fokussiert sind. „Mit denen hat man oft mehr Arbeit bei der Ausbildung“, schmunzelt der Bezirksleiter.

Stefan Fuchs und seine Malu © Skiing Penguin
Stefan Fuchs und seine Malu © Skiing Penguin

Das Training der Lawinenhunde beginnt schon im Welpenalter. Ganz spielerisch werden die jungen Hunde ans Graben und Bellen herangeführt. Die Ausbildung zum Lawinenhund beginnt nach dem ersten Lebensjahr. „Lernen kann das ein älterer Hund genauso, denn der Spiel- und Beutetrieb erlischt ja nie“, erklärt Fuchs, „aber mit einem Dreijährigen braucht man nicht mehr kommen, weil die Ausbildung ja noch drei weitere Jahre dauert, bis er einsatzfähig ist.“ Bei einem Pensionsantrittsalter von zehn oder elf, würde sich das einfach nicht mehr lohnen.

Der Hundeführer, das Herrchen bzw. Frauchen und ständige Bezugsperson, ist gänzlich für seinen Hund verantwortlich und muss selbst aktives Mitglied der Bergrettung sein. Zusammen müssen Hund und Mensch mehrere Kurse und Prüfungen ablegen. Es fängt damit an, dass der Hund sein Herrchen in einem offenen Schneeloch suchen muss. „Das Spiel wird so lange trainiert, bis der Hund davon überzeugt ist, dass es in dieser Höhle toll ist“, erzählt der Itterer. Wenn dieses Gefühl in Fleisch und Blut übergegangen ist, kommt eine zweite Person hinzu. Stufenweise werden die Übungen gesteigert, bis schlussendlich eine Fremdperson in einem verschlossenen Schneeloch gefunden werden soll. „Das Endziel ist, dass ich meinem Hund die Stöberdecke anziehe und sage ‚such voran!‘ und dann sucht er“, berichtet Fuchs.

Malu bekommt von ihrem Hundeführer Stefan Fuchs die Stöberdecke angezogen © Skiing Penguin
Malu bekommt von ihrem Hundeführer Stefan Fuchs die Stöberdecke angezogen © Skiing Penguin

Belohnungen spielen dabei natürlich eine wesentliche Rolle. „Die einen machen es mit Leckerli, die anderen mit der Beißwurst“, so Fuchs. Mit dem Filzfetzen wird das Beutespiel vorgetäuscht, auf das viele Hunde trainiert sind. Darum wechselt nun die Beißwurst ihren Besitzer. Die Übung geht weiter, ein neuer Figurant wird in einem der anderen beiden Schneelöcher vergraben. Währenddessen holt der nächste Hundeführer seinen Schnüffler. Die Vorfreude ist zu hören, denn hinter der Kuppe wird laut gebellt. Die Hunde werden dort übrigens festgebunden, um optimale Trainingsbedingungen zu schaffen – Schummeln ist ausgeschlossen. Das Üben ist auch nach erfolgter Ausbildung essentiell: „Wir treffen uns alle 14 Tage in der ganzen Gruppe und machen die Bezirksübung“, berichtet der Übungsleiter, „der Hund kann die ja nicht von einem Einsatz unterscheiden“.

Die Beißwurst als Belohnung © Skiing Penguin
Die Beißwurst als Belohnung © Skiing Penguin

Wenn es zum Einsatz kommt, müssen Hund und Hundeführer binnen Sekunden bereit sein. „Ohne Atemhöhle gibt man Lawinenopfern eine Viertelstunde, um ohne Schäden davonzukommen. Darum macht einer unserer Gruppe ab Lawinenwarnstufe 3 immer an den Wochenenden direkt am Hubschrauberstützpunkt Dienst“, erklärt Fuchs. Bergretter, die Bereitschaft haben, werden auch vom Hubschrauber abgeholt – Flugtauglichkeit gehört ebenso zu den Eigenschaften eines Lawinenhundes, wie Neugier, Zutraulichkeit und Ausgeglichenheit.

Hinter einer Kuppe warten die Lawinenhunde auf ihren (Übungs-)Einsatz © Skiing Penguin
Hinter einer Kuppe warten die Lawinenhunde auf ihren Einsatz © Skiing Penguin

Wie viele Hunde bei einem Einsatz gebraucht werden, hängt von der Größe der Lawine ab: „Wir Hundeführer sagen mindestens zwei, denn wenn mein Hund in einem bestimmten Gebiet nichts findet, möchte ich das von einem zweiten bestätigt bekommen. Das ist einfach für den eigenen Kopf ganz wichtig“, so Fuchs. Trotzdem kann es sein, dass jemand in der Lawine liegt. Bestimmte Schneeverhältnisse machen nämlich auch für die Spürnasen die Suche so gut wie unmöglich. Ist der Schnee nach einem Lawinenabgang hart wie Beton, kann der Hund auch einmal einfach nichts riechen. Auch mit solchen Situationen heißt es als Hundeführer umzugehen lernen. Warum man sich die Gefährdung, die vielen Bereitschaftsstunden und das mögliche Versagen antut? „Den Nächsten zu helfen ist einfach wichtig. Wir sind viel auf den Bergen unterwegs und wenn das mit Hilfeleistungen verknüpft werden kann, ist es umso schöner“, schwärmt Fuchs, dessen Brotberuf Vollzeit-Lehrer an der HTL Jenbach ist. Seinem Dritt-Job bei der Bergrettung– der 48-Jährige ist auch Nebenerwerbsbauer – geht er ehrenamtlich nach.

Malu bei der "Arbeit" © Skiing Penguin
Malu beim Schnüffeln © Skiing Penguin

Während unserem Gespräch kehrt ein Golden Retriever glückselig von seiner Übung zurück. Der Spaß, den der Hund bei der Suche hatte, ist ihm auch danach noch anzusehen. Und durch die Bestätigung der Hundeführer wird sich dieses Erfolgserlebnis einprägen. Berufstätige Hunde sind zu Hause übrigens ganz normale Familientiere. Wer jetzt denkt, dass es sich ohnehin nur um einen Saisonjob handelt, liegt aber falsch: „Im Sommer haben wir fast mehr Einsätze als im Winter, weil wir eine Such- und Lawinenhundestaffel sind“, klärt Fuchs auf. Die Vermisstensuche ist sogar deutlich schwieriger, da der Suchbereich oft um ein Vielfaches größer ist. „Wir müssen manchmal ganze Berge absuchen und sind teilweise tagelang unterwegs“, so Fuchs. Noch ist aber Winter und der viele Schnee für Übungen zu nützen. Darum geht es jetzt auch für den Staffelleiter und seine Malu zum Training. Sie ist eine der jüngsten Hunde, meistert die Übung aber mit Bravour. Und zur Belohnung gibt es natürlich die Beißwurst … und ein paar Streicheleinheiten.