Pistentiger

„Den Sturz sehe ich emotionslos“

Hans Grugger am 2. März an der Mausefalle © Skiing Penguin
Hans Grugger am 2. März an der Mausefalle © Skiing Penguin

An jenen Moment, als Hans Gruggers Ski-Karriere in der Mausefalle jäh zu Ende gegangen ist, hat der Gasteiner keinerlei Erinnerung. Heute steht der inzwischen zweifache Vater vor dem Abschluss seines Studiums und dem Start der Karriere 2.0. 

Es sind in erster Linie Zuseher und Streckenposten, die sich an Hans Gruggers letztes Weltcuprennen erinnern. Ein derart fataler Sturz prägt sich nachhaltig ein, beinahe wie Hermann Maiers „Abflug“ in Nagano 1998. Mit dem Unterschied, dass der „Herminator“ fast unverletzt blieb und sich an sein Aus in der Abfahrt erinnern kann. Nicht so Hans Grugger. Dem heute 37-Jährigen fehlen zwei Monate vor dem Sturz im Training auf der Streif – und fünf Wochen danach. Am 20. Jänner 2011 passierte ihm der verhängnisvolle Fehler just an der Mausefalle, dem steilsten Abschnitt der Hahnenkammabfahrt in Kitzbühel. Zehn Tage lag Hans Grugger im künstlichen Koma. Mit einer Lungenquetschung, gebrochenen Wirbeln, einer Verletzung der Halsschlagader und einem Schädel-Hirn-Trauma. Acht Jahre später kehrte der Salzburger wieder einmal nach Kitzbühel zurück. Ohne Verdruss, Groll oder Wehmut. Im Gegenteil. Der vierfache Weltcupsieger fuhr mit Skisportfans sogar die Streif ab und erklärte alle tückischen Stellen. Auch jene Passage, die seine Karriere beendet hat – die Mausefalle. Heute lebt Hans Grugger in Bad Ischl. Gemeinsam mit seiner Frau, der ehemaligen Weltcupläuferin Ingrid Rumpfhuber, hat er zwei Kinder (Jan ist sechs Wochen jung) und steht vor dem Abschluss seines Studiums im Sommer.

Herr Grugger, mit welchen Gefühlen kehren Sie nach Kitzbühel zurück?
HANS GRUGGER: Eigentlich überwiegend mit positiven.

Da dürften sich viele Leser fragen: Warum?
HANS GRUGGER: Als ich Wochen nach dem Unfall mitbekommen habe, was in Kitzbühel und drumherum überhaupt passiert ist, hat für mich das Positive überwogen: Ich kann wieder gehen, ich kann wieder Sport betreiben und ich kann ein normales Leben führen. All das verdanke ich dem Rettungsteam, das mich aus dem ganzen Schlamassel rausgholt hat.

An den Unfall selbst haben Sie keine Erinnerung?
HANS GRUGGER: Nein. Mir fehlen zwei Monate vor dem Unfall und etwa fünf Wochen danach. Das einzige, was ich im Kopf habe, sind die Bilder, die ich auf Video gesehen habe.

Wie wirken diese Bilder auf Sie?
HANS GRUGGER: Ich sehe sie ziemlich emotionslos, weil ich keinen Bezug zu der Person aufbauen kann. Das ist vermutlich eine Schutzfunktion des Körpers, der das nicht an sich heranlässt. Aber ich weiß, dass es der Person im Video wieder gut geht und somit wirkt der Sturz auf mich, wie jeder andere, den ich im Fernsehen sehe und von dem ich weiß, dass er glimpflich ausgeht.

Haben Sie an ein Comeback geglaubt?
HANS GRUGGER: Ja. Aber man hat schnell gesehen, dass es unmöglich ist. Das Areal in meinem Gehirn, das mein rechtes Bein bedient und steuert, ist beschädigt. Beispiel: Wenn andere ihren Zeh anheben wollen, machen sie das einfach. Ich muss kurz überlegen – ganz grob beschrieben. So kann man freilich nicht auf Weltcupniveau Ski fahren.

Als Ihr Karriere-Aus festgestanden ist, war das ein Schock?
HANS GRUGGER: Absolut nicht. Mir hat Ski fahren immer Spaß gemacht und seither macht es eben noch mehr Spaß – weil ich unbeschwerter fahren kann und nicht mehr gegen die Uhr. Bei mir überwiegt immer die Dankbarkeit, dass ich noch immer Sport betreiben kann und dass ich gesund bin. Ich war nie verdrossen, weil es gerade mich erwischt hat.

Haben Sie je nach Schuldigen an Ihrem Unfall gesucht? Sie selbst, der Ski, das Wetter, die Piste u.s.w.
HANS GRUGGER: Es gibt einen Schuldigen und der bin ich selbst gewesen.

Hans Grugger über der Alten Schneise an der Streif in Kitzbühel © Skiing Penguin
Hans Grugger über der Alten Schneise an der Streif in Kitzbühel © Skiing Penguin

Was war der schönste Moment Ihrer Karriere?
HANS GRUGGER: Als ich nach dem Unfall das erste Mal wieder auf den Ski gestanden bin – das war mein persönliches Highlight und der schönste Moment meiner Karriere.

Wollen Sie die Szene beschreiben?
HANS GRUGGER: So etwa zehn Monate nach dem Unfall war ich mit meinem Trainer Andreas Evers in Sölden. Er hat extra für meinen Transfer nach oben eine Pistenraupe organisiert und dann sind wir ganz allein auf dem Berg gewesen. Wie ich oben am Gletscher gestanden bin, hab ich im ersten Moment nicht gewusst, was ich tun soll. Aber dann bin ich ich ein paar Schwünge derfahren und es war irrsinnig schön.

Wie geht es Ihnen heute?
HANS GRUGGER: Mir geht es sehr gut und ich habe keine Probleme. Ab und zu bin ich ein bissl müde – wenn der Jan in der Nacht schreit.

Sie sind gerade dabei die Universität abzuschließen. Wie sehen die Pläne für die nächste Zukunft aus?
HANS GRUGGER: Ich studiere Sport und Geographie auf Lehramt und bin gerade dabei die Masterarbeit zu schreiben. Im Juni sollte ich fertig sein und dann würde ich sehr gerne in Bad Ischl unterrichten.

Wie kam es zum Entschluss zu studieren?
HANS GRUGGER: Ursprünglich aus therapeutischen Gründen. Während der Ergotherapie hab ich oft Rätsel lesen müssen und dann hat meine Frau gemeint, ich könne doch gleich was G’scheites lernen. Mit Englisch lernen hab ich angefangen und dann ist die Studienberechtigungsprüfung gefolgt.

Ohne Unfall hätten Sie wohl nie zu studieren begonnen.
HANS GRUGGER: Nein, wohl kaum. Also das einzig Negative meines Unfalls ist, dass ich auf den Kopf gefallen bin. Aber seitdem läuft es weitestgehend positiv.

Auch während der Therapie?
HANS GRUGGER: Da gab es zwischendurch schon Rückschläge für die Psyche. Wenn du etwa nach zehn Minuten Lernen kaum noch geradeaus schauen kannst, vor lauter Erschöpfung. Da denkst dir schon: Wird das je besser? Es wäre in diesem Zustand auch völlig undenkbar gewesen einen Beruf auszuüben.

Ihre Kinder Mia und Jan sind drei Jahre bzw. sechs Wochen jung. Was, wenn einer der beiden auch einmal Abfahrer werden möchte?
HANS GRUGGER: Als ich Mia kürzlich gefragt habe, ob sie Ski fahren möchte, hat sie geantwortet: „Nein, ich bin noch zu klein.“ Es ist also noch Zeit. Mich würde es schon freuen, wenn sie einmal gerne Ski fahren. Ich will aber nicht, dass sie Abfahrt fahren. Sollte es aber so kommen und sie hätten so eine Freude daran wie ich damals, würde ich sie natürlich unterstützen.